Wechselhafte Geschichte – beschaulich-lebendige Anlage


Besuch in der Illenau, Achern, vom 13.05.

Die „Heil- und Pflegeanstalt Illenau“ wurde 1842 auf Initiative des badischen Arztes Christian Friedrich Wilhelm Roller gebaut. Er hatte seine Forschungen und Untersuchungen in ganz Europa in seinem 1832 erschienenen Buch „Die Irrenanstalt in all ihren Beziehungen“ zusammengefasst. Dieser Begriff war im damaligen Sprachgebrauch absolut üblich, und als „irre“ wurde damals jeder mit einer diagnostizierten „Geisteskrankheit“ bezeichnet. Die Psychiatrie als umfangreiches Lehrgebäude und mit einer äußerst differenzierten Methodenvielfalt war noch gar nicht existent oder steckte höchstens in ihren Babyschuhen: So wurde beispielsweise Sigmund Freud erst 14 Jahre später geboren, und einer der Wegbereiter der Neurologie, Jean-Martin Charcot, eröffnete erst 1882 seine spezialisierte Abteilung im Pariser Hôpital de la Salpêtrière.



Dem damals regierende badische Großherzog Leopold gefielen die humanen Ideen Rollers, verdichtet in dessen Leitmotiv „Liebe! Diene!“, und er unterstützte das Projekt einer Landesirrenanstalt. Die besten Voraussetzungen dafür bot ein Gelände bei Achern, nachdem bestehende Gebäude, wie auch das Hubbad in Ottersweier, durch das Anforderungsraster fielen. Die Ausführung der überwiegend mehrstöckigen Gebäude in Anlehnung an Arbeiten des Architekten Friedrich Weinbrenner zeigt wohlgeordnete, gefällige Proportionen im klassizistischen Baustil und in einer durch Gartenanlagen aufgelockerten Anordnung. Auf Ornamentik wurde weitestgehend verzichtet. Ausnahmen bilden beispielsweise zwei Bogengänge im Mittelteil des Hauptkomplexes.

 

Roller verwirklichte sein völlig neues Betreuungs- und Heilungskonzept u. a. im Rahmen der „Illenauer Familie“, dem alle Akteure von den Ärzten bis zu den Handwerkern angehörten. Patienten mit einer vergleichbaren Erkrankungsschwere wurden in Einheiten mit der entsprechenden Versorgung zusammengefasst, einschließlich eigener Gärten. Mit ihren Heilungserfolgen erarbeitete sich die Einrichtung sehr schnell einen guten Ruf, zog Patienten aus ganz Europa an und wurde ständig erweitert.

 

Obwohl sich der dann verantwortliche Direktor Hans Römer in der NS-Zeit gegen den Euthanasie-Erlass zur Wehr setzte, konnte er letztendlich den Abtransport der meisten Patienten in die NS-Tötungsanstalt Grafeneck und deren dortige Ermordung nicht verhindern. 1940 stellte die Illenau ihren bisherigen reformbasierten Heilbetrieb ein.

 

Nach Kriegsende wurden die Gebäude vom französischen Militär genutzt. 1999 kaufte die Stadt Achern das Gelände zurück. Seitdem wurden die diversen Gebäude von unterschiedlichen privaten und öffentlichen Betreibern bezogen und davor sorgfältig und zielführend renoviert. So haben die einzelnen Abteilungen des Rathauses der Stadt Achern nach und nach das Zentralgebäude „erobert“. Ende dieses Jahres soll der komplette Umzug abgeschlossen sein. Im Jahresverlauf finden außerdem unter Einbeziehung der Freiflächen etliche Veranstaltungen statt. Auch sind in einigen Seitenflügeln 50 Privat-Wohnungen entstanden.

 

Eine Bewohnerin aus diesem Komplex, Isolde Späth, Schwester eines Bühler Kolpingfamilienmitglieds und ehemalige Mitschülerin eines anderen, übernahm die Führung durch die großflächige Anlage mit ihrer wechselvollen Geschichte und ihrer aktuellen vielfältigen Nutzung. Gleichzeitig vermittelte sie einen Eindruck vom Wohnen in diesem historischen Gemäuer. Die acht Veranstaltungs-Teilnehmer aus Bühl zeigten sich beeindruckt von dieser weitläufigen Anlage, die mit ihren befestigten Wegen zwischen den Park- und Grünflächen mittlerweile auch gerne von Spaziergängern und Joggern genutzt wird. Besucht wurde auch der Illenau-Friedhof mit einigen recht skurrilen Grabstätten sowie der wie ein Innenhof wirkende Teil der Anlage, in dem in Kürze ein Café die zahlreichen Beschäftigten auf dem Gelände sowie Anwohner und Besucher anlocken soll.

 

Nach zwei Stunden führte die Reise in zwei Privat-PKWs zu einem gemütlichen Abschluss in Bühls „Deutschem Kaiser“.

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