Führung durch das Stadtmuseum Bühl vom 9. März
Exklusiv für die Kolpingfamilie Bühl öffnete das Stadtmuseum Bühl an einem Samstagnachmittag seine Pforte, hinter welcher auch die Kolpingmitglieder Gisela Emminger und Egon Schempp turnusgemäß ehrenamtlich tätig sind. 19 Teilnehmer trafen sich um 15 Uhr im Foyer des Neubau-Teils, der eine zeitgemäße Infrastruktur mit Fahrstuhl beherbergt. Der größte Teil des Museums dagegen ist im historischen Gebäudeteil untergebracht, dem zweitältesten Wohnhaus in Bühl aus dem Jahr 1668/9. Ab 1910 wurden historische Exponate in unterschiedlichen Standorten gezeigt, bis sich dann 2003 ein Förderverein gründete, der dann die ehemalige Bäckerei in das heutige Museum verwandelte, das 2007 eröffnet werden konnte.
Auf vier Schwerpunkte konzentrieren sich die in den original erhaltenen Räumen dargebotenen historischen Relikte und multimedial abrufbaren und gezeigten Film-, Bild- und Tondokumente: Stadt-, Wirtschafts-, Foto- und Religionsgeschichte. Im Foyer laden auf einem kleinen Bildschirm Originalfotografien und die dazu gehörigen aktuellen Bilder zu einem kleinen Ausflug in die jüngere Stadtgeschichte ein. Diese Bilderschau kann demnächst im Dachgeschoss auf einem großen Bildschirm nachvollzogen werden.
Der äußerst sachkundige Leiter des Stadtgeschichtlichen Instituts Bühl, zu dem das Stadtmuseum gehört, Dr. Marco Müller, begann seine Führung im Sonderausstellungsbereich, der aktuell Bilder von Barbara Walser mit Bezug zu Bühl zeigt. Die bildnerische Künstlerin lebte zwischen 1978 und 2005 in Bühl. Letztes Jahr ist sie in Berlin verstorben.
Bühl wurde urkundlich erstmalig 1283 als Besitztum des Klosters Schwarzach erwähnt, doch begründen Funde aus der Stein- und Bronzezeit die Vermutung, dass die Gemarkung schon viel früher besiedelt war. Außerdem litt diese Gegend beständig unter den Gewaltanwendungen durchziehender Heere der unterschiedlichsten Kriegsparteien. So kam es beispielsweise 1722 zu einer flächendeckenden Brandstiftung und einem großen Massaker an der Bevölkerung. Auch von der weltlichen Obrigkeit durchgeführte Hexenprozesse fanden statt, denen allein im Jahr 1628/9 60 Personen zum Opfer fielen. Die Protokolle dieser Anklagen lassen sich mit einem Tondokument und entsprechenden Bildern eindringlich nachvollziehen.
Das Marktrecht von Bühl bestand zwar schon seit 1403 (an Ritter Reinhard von Windeck), doch das Stadtrecht wurde erst 1835 durch Herzog Leopold von Baden verliehen. All die wechselvollen Begebenheiten der Stadtgeschichte schilderte Dr. Marco Müller erfrischend lebendig, unmittelbar nachvollziehbar und mit Anekdoten unterhaltsam aufgelockert.
Genauso schwungvoll führte er uns auch durch den Bereich der Wirtschaftsgeschichte. Die immer von außen gut besuchte Marktstadt mit ihrem Montagsmarkt und einem Angebot an Artikeln, welche die überwiegend bäuerliche Bevölkerung nicht selbst herstellen konnte, sowie den zusätzlichen Obstmärkten vor allem mit den Bühler Frühzwetschgen ließen eine vielfältige Gastronomie entstehen. Um 1900 waren es 30 Gastwirtschaften in der Kernstadt, wovon die meisten längst der Abrissbirne zum Opfer gefallen sind.
Weitere wichtige Industriezweige waren die Zigarrenherstellung aus heimischem Tabak (Schweizer Stumpen) mit Filialen im Umland und zahlreichen Heimarbeiterinnen, die Kunstblumenherstellung der Firma Speirer und die Konservenfabrik Badenia. Aus der Tintenfabrik Hörth entstand unter August Fischer der weithin bekannte Uhu-Klebstoff. Um 1910 war die Firma Wolf Netter & Jacobi Weltmarktführer in der Herstellung von Feinblechen mit insgesamt 3.000 Mitarbeitern an diversen Standorten. Als Mäzen und großzügiger Unterstützer sozialer Projekte betätigte sich aus der Unternehmerfamilie der Berlin-Repräsentant Carl Leopold Netter (1864-1922), dem Bühl u. a. seinen Stadtgarten verdankt. Ein Porträt des Bühler Ehrenbürgers, gemalt von dem Impressionisten Max Liebermann, hängt im Keller des Stadtmuseums. Das Unternehmen Wolf Netter & Jacobi wurde im Zuge der „Arisierung“ 1938 von Mannesmann übernommen. Die Tradition metallverarbeitender Betriebe setzt sich in Bühl mit einem Werk der Robert Bosch GmbH und einer Niederlassung der Schaeffler Gruppe, ehemals LuK, fort.
Auch dem Einzelhandel ist ein beeindruckender Raum gewidmet. Der originalgetreu aufgebaute „Tante-Emma-Laden“ aus dem Nachlass einer Lichtenauer Ladenbetreiberin verströmt den spröden Charme der Nachkriegszeit, als man die offen verkauften Lebensmittel einzeln abwog und in (mitgebrachte) Tüten und andere Behältnisse füllte.
Den Abschluss der Führung bildete ein Besuch im Kellergewölbe, das vor allem kunstgeschichtlichen Exponaten zu den drei historisch in Bühl vertretenen Religionen Katholizismus, Judentum und Protestantismus gewidmet ist, wobei die letztere Religion erst im 19. Jahrhundert mit zugezogenen Beamten, Lehrern und Angestellten heimisch wurde und etwa 10 % der Bevölkerung ausmachte. Juden unterhielten in Bühl ein Zentrum am Johannesplatz mit Synagoge, Schule und Wohngebäuden. Die meisten der noch Verbliebenen wurden am 22.10.40 ins Internierungslager Gurs nördlich der Pyrenäen deportiert. Eine zeitgeschichtliche Rarität stellt der etwa zweiminütige Kurzfilm über die brennende Bühler Synagoge vom 10.11.1938 dar, der noch immer von Dokumentarfilmern aus der ganzen Welt angefragt wird.
Alle Teilnehmer waren begeistert von dieser mitreißenden Führung und zeigten sich daran interessiert, die diversen, intuitiv zu benutzenden multimedialen Informationsmöglichkeiten bei einem späteren Besuch nochmals in Ruhe auszuprobieren.